die Suche nach dem tiefen Selbst

Vera Samuel

Vera war 81, als wir über ihr Leben sprachen. Sie war in großer Armut geboren, da ihr Vater arbeitslos war. Die Schule hatte sie immer schon geliebt, aber sie selbst war nicht in der Lage ihre eigene Ausbildung fortzusetzen und so begann sie mit fünfzehn Jahren zu arbeiten.

Als sie 30 war, ergab sich die Möglichkeit, an einem Frauen-Kollege für zweite Chancen, ein Jahr lang studieren zu können. Sie beschrieb dies als ein tiefes Glücksgefühl. Im Alter von 37 wurde sie Schulleiterin einer Schule, in der die meisten Kinder aus schwierigen Verhältnissen kamen.

Viele Jahre später, nachdem sie lange schon im Ruhestand war, erhielt sie einen Brief von einer ehemaligen Schülerin. Die Frau, die schrieb, war jetzt Sozialarbeiterin. Sie stammte aus einer Familie, in der sie schwerste Misshandlungen erlitten hatte. In der Zeit, in der sie in Veras Schule ging, wurde sie von ihrer gewalttätigen Familie entfernt und in einer Pflegefamilie aufgenommen, in der sie richtig aufblühte.

Als sie älter war, durchsuchte sie ihre Akten und stellte fest, dass sie die Rettung aus ihrer Notlage Veras Mitwirken zu verdanken hatte. In einer Zeit, wo Begriffe wie Missbrauch kaum bekannt waren, hatte Vera das Leiden eines kleinen Mädchens erkannt und etwas getan, um ihr zu helfen und sie zu retten. Das kleine Mädchen, das jetzt eine Frau war, schrieb den Brief um Vera zu danken. Sie wollte Vera wissen lassen, dass ihre eigenen Erfahrungen von Missbrauch und die daraus folgende Hilfe, die sie erhalten hatte, ihr die Begeisterung und Inspiration gaben, in ihrer gegenwärtigen Arbeit tätig zu sein. Diese Frau und Vera hatten daraufhin einen langen Briefwechsel.