die Suche nach dem tiefen Selbst

Sophie Scholl

Sophie Scholl war während des Zweiten Weltkriegs Studentin an der Universität München. Sie war Mitglied einer kleinen Gruppe namens “Die weiße Rose”, deren Ziel es war, der Nazi-Tyrannei durch passive Maßnahmen Widerstand zu leisten. Sophie, ihr Bruder Hans und deren Freund Christoph Probst wurden des Hochverrats beschuldigt und am 22. Februar 1943 durch die Guillotine  hingerichtet. Sie waren jeweils 22, 25 und 24 Jahre alt. Das Mittel ihres Widerstands war es gewesen, Briefe zu schreiben und die Mauern mit anti Nazi-Parolen zu bemalen. Sie hatten die Hoffnung, dass die Menschen, die dies lasen, den Mut bekämen, sich den Nazis durch auch noch so kleine Handlungen zu widersetzen.  

In der Nacht bevor sie starb erzählte Sophie ihrer Mitgefangenen, Else Gebel, einen Traum, den sie gehabt hatte. Diese schrieb ihn auf, um ihn Sophies Familie geben zu können:

„Ich trug an einem sonnigen Tag ein Kind in langem weißen Kleid zur Taufe. Der Weg zur Kirche führte einen steilen Berg hinauf. Aber fest und sicher trug ich das Kind in meinen Armen. Da plötzlich war vor mir eine Gletscherspalte. Ich hatte gerade noch soviel Zeit, das Kind sicher auf der anderen Seite niederzulegen – dann stürzte ich in die Tiefe.“ Sie interpretiert ihren Traum auf diese Weise. „Das Kind ist unsere Idee, sie wird sich trotz aller Hindernisse durchsetzen. Wir durften Wegbereiter sein, müssen aber zuvor für sie sterben.“

Sophie Scholl war stark von ihrem Bruder Hans beeinflusst, der Medizin studierte. Beide waren vom Christentum inspiriert und waren der Überzeugung, dass gebildete Menschen eine Verantwortung hätten, die Wahrheit über den Zustand der Welt auszusprechen. Während seiner Zeit an der russischen Front im Herbst 1942 schrieb Hans folgende Worte in sein Tagebuch, die sich an das Scheitern deutscher Gebildeter richteten:

„Ein Ungeist ist es, dem du dienst in dieser verzweifelten Stunde. Aber du siehst die Verzweiflung nicht; du bist reich, aber du siehst die Armut nicht. Deine Seele verdorrt, weil du ihren Ruf nicht hören wolltest. Du denkst nach über die letzte Verfeinerung  eines   Maschinengewehrs, aber die primitivste Frage hast du schon in deiner Jugend unterdrückt. Die Frage: warum? und wohin?“

Vor ihrer Hinrichtung durften Sophie und Hans ihre Eltern sehen. Christoph war es nicht gestattet, von seiner Frau und seinen drei Kindern, von denen das jüngste gerade geboren war, besucht zu werden. Die Gefängniswärter waren von der ruhigen Selbstsicherheit der Drei beeindruckt. Deshalb erlaubten sie ihnen, vor der Hinrichtung einen kurzen Augenblick zusammen sein zu dürfen. Bevor er starb, sagte Christoph Probst: "Ich wusste nicht, dass Sterben so leicht sein kann." Er fügte hinzu: "In wenigen Minuten sehen wir uns in der Ewigkeit wieder."

 

Die Weiße Rose: München, 1942-1943 (Taschenbuch) von Inge Scholl, Auflage (2009)

 

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